Wie aus Raupen Schmetterlinge werden
Erst mal lange fressen, dann warten und sich genüßlich ausruhen. Würden wir Menschen unsere Erfahrungen, Kümmernisse und Abstürze so leicht verdauen wie dicke, satte Raupen und hätten wir alle Zeit der Welt dazu, wir wären sicher nicht so gestresst. Nicht so gestresst mit Therapien, "Arbeit an sich selbst" (puh ...), nicht so unglücklich über unsere vermeintlichen Fehler, würden wir uns vielleicht ganz natürlich frei und richtig fühlen anstatt verbesserungsbedürftig. Eine Diagnose wie "Anpassungsstörung" bringt mich heute noch auf die Palme. Ein Mensch, der auf den Ruf seiner Seele hören möchte, vielleicht sogar krank geworden ist an der ganzen Anpassungsmethodik der modernen Medizin, gerät in ein unglaubliches Dilemma, wenn er für den gewöhnlichen Alltag wieder fit gemacht werden soll. Klappt meistens Gott sei Dank sowieso.
Menschen ticken anders als Raupen, können aber auch zu Schmetterlingen werden
Erkenntnis ist notwendig und ein guter erster Schritt. Erkenntnis kann unser Verstehen von Ursachen und Zusammenhängen vertiefen, einen Moment lang sehen wir klarer als sonst und vielleicht empfinden wir Beruhigung. Allein dadurch erfahren wir jedoch meist noch keine tiefgreifende und dauerhafte Veränderung in unserem Leben, aber ich habe schon erlebt, das Philosophen das ganz gut können. Die meisten Menschen wissen, was mit ihnen los ist und bleiben doch im Karussell sitzen. Manche glauben, wenn wir in starke Gefühle oder dramatische Erinnerungen gehen, müsste die Veränderung einsetzen. Das ist nur teilweise wahr, denn oft geschieht nur eine Wiederholung dessen, was wir kennen, bereits erlebt und gefühlt haben - etwas Altes massiv hochzuholen ist einfach, bringt ziemlich viel Stress und selten etwas wirklich Neues. Denken Sie nur (kurz!) daran, womit unsere Liebsten oder unsere Eltern uns ruck zuck aus der Mitte bringen können. Sie kennen unsere Achillesferse, und es ist gemein, uns absichtlich an so einer Stelle treffen zu wollen. Frei nach dem Motto: was Du schon als Kind nicht akzeptieren wolltest, das wirst Du spätestens jetzt lernen, und deshalb ist es gut, wenn es richtig weh tut. Auch Therapeuten sollten das meiner Meinung nach lieber lassen. Allein der Versuch, alle Probleme lösen zu wollen und einzelne Symptome in den Griff zu bekommen, ist eher erschöpfend als heilsam.
Veränderung gelingt, wenn wir uns mit unserem Körper wieder anfreunden. Wenn sich unser Verhalten, unser Denken und Fühlen und unsere Wahrnehmung ausweiten, wir flexibler werden. Dies ist der weitaus schwierigere Teil, denn das Neue und zunächst Unbekannte muss in den Körper hinein übersetzt werden, es will gespürt werden und für wahr und richtig erkannt werden. Erst mit diesem Schritt können schwierige Lebenserfahrungen überhaupt integriert werden. Integration meint hier: was immer wir im Leben erfahren haben, ist weder zu widerrufen noch zu löschen. Man kann nicht loswerden, was Teil der eigenen Geschichte ist. Auch wenn Narben bleiben ist Heilung möglich, was bedeutet sich lebendig und verbunden zu fühlen.
Veränderung braucht bestimmte Voraussetzungen, die aber gerade traumatisierten Menschen nicht zur Verfügung stehen. Bindung ist das Zauberwort, denn ich glaube wir brauchen einander und niemand kann allein heil werden. Ein authentischer Kontakt auf Augenhöhe zwischen dem begleitenden Therapeuten und dem Klienten ist das Fundament auf dem der Heilungsprozess geschehen kann. Erst die gefühlte (!) Sicherheit erlaubt es Ihnen, sich schrittweise wieder in Beziehung zu begeben und Ihrem Körper so weit zu vertrauen, dass Sie sich trotz beängstigender Erfahrungen wieder in sich selbst beheimaten können. Ich unterstütze Sie dabei, Erregung und Emotionen in sich selbst regulieren zu können ohne in die Re-Traumatisierung zu gleiten.
Echte Veränderung beginnt hier: wenn Sie in der Lage sind, sich in einem guten Spannungsfeld von Präsenz und Empfindungen bewegen zu können, können Sie mit herausfordernden Situationen geschmeidiger umgehen. Es entsteht mehr Toleranz gegenüber Aufregung, Trauer und den Steinen, die manchmal im Weg liegen. Heute kann gelingen, was früher nicht möglich war: aktiv im Leben stehen und in Freiheit so zu handeln, wie es zu Ihnen passt. Das Schöne daran: Sie werden niemand Anderes, niemand Fremder. Sie entfalten Ihr eigenes Wesen und werden der Mensch, der Sie sind. Sie werden sich immer mehr mögen. Kein Medikament kann diese wohlfühlige Art von Gesundheit ersetzen.
Dr. Peter Levine, einer der anerkanntesten Traumaforscher unserer Zeit, hat in den letzten 40 Jahren Somatic Experiencing® entwickelt.
Er promovierte in Biophysik und Psychologie. Bahnbrechend war seine Erkenntnis, dass es sich bei einem "Trauma" nicht nur um eine psychische, sondern um eine komplexe psycho-physiologische Reaktion handelt. Er hat sich als Gründer der Non-Profit-Organisation "Foundation of Human Enrichment" zum Ziel gesetzt, die Beziehung zwischen Trauma und dem scheinbar endlosen Kreislauf von Gewalt und Krieg zu unterbrechen.